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Das Autismus Spektrum

Der Begriff «Autismus» kommt aus dem Griechischen und bedeutet «sehr auf sich bezogen sein». Er wurde erstmal 1943 von Leo Kanner und Hans Asperger verwendet, um Kinder mit einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung zu beschreiben.

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Das Autismus Spektrum

Der Begriff «Autismus» kommt aus dem Griechischen und bedeutet «sehr auf sich bezogen sein».

Er wurde erstmal 1943 von Leo Kanner und Hans Asperger verwendet, um Kinder mit einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung zu beschreiben.

Autismus ist ein Spektrum. Das bedeutet, dass autistische Menschen sich sehr voneinander unterscheiden. Es gibt Betroffene, die gar nicht sprechen und andere, die über sehr gute mündliche Sprachfähigkeiten verfügen, diese jedoch im Alltag nur schwer einsetzen können. Heute wird der Fachbegriff Autismus-Spektrum-Störung verwendet (ASS).

Quelle: autismus.ch

Mozart, Albert Einstein, Elon Musk, Greta Thunberg...

Wie viele Menschen auf dem Spektrum balancieren, weiss man nicht. Wo es Menschen gibt, die lebenslange Begleitung benötigen, gibt es auch die, welche gelernt haben sich wie ein Chamäleon anzupassen. So bewegen sie sich vorwärts, permanent ihre Umgebung analysierend. Sie kopieren Verhaltensweisen und spielen diese nach. Im besten Fall lässt ihre Umgebung  ihnen Raum, so zu sein, wie sie eben sind.

Die Akzeptanz der Eigenarten von Menschen auf dem Spektrum hat zugenommen und das ermöglicht ihnen, und nicht nur einzelnen die als “Genie” gelten, ein Leben, wo sie ohne Masking auf die Bühne des Lebens gehen können.

«Alles besitzt eine Schönheit aber nicht alle können es sehen»

Im deutschsprachigen Bereich wird im derzeit gültigen Klassifikationssystem ICD-10-GM zwischen drei verschiedenen Ausprägungen unterschieden, die als tiefgreifende Entwicklungsstörungen eingeordnet sind: frühkindlicher, atypischer Autismus und Asperger-Syndrom. Das 2013 veröffentlichte DSM-5 und die seit 2022 international gültige ICD-11 hingegen definieren nur noch eine allgemeine, übergreifende Autismus-Spektrum-Störung. Hans Asperger und Leo Kanner nahmen den Autismus-Begriff unabhängig voneinander auf. Sie sahen in ihm aber nicht mehr nur ein einzelnes Symptom wie Bleuler, sondern versuchten, damit gleich ein ganzes Syndrom eigener Art zu erfassen. Sie unterschieden dabei Menschen mit Schizophrenie, die sich aktiv in ihr Inneres zurückziehen, von jenen, die von Geburt an in einem Zustand der inneren Zurückgezogenheit leben. Letzteres definierte nun mehr den „Autismus“. Die Veröffentlichungen Aspergers zur „Autistischen Psychopathie“ hingegen wurden zunächst international kaum wahrgenommen. Dies lag zum einen an der zeitlichen Überlagerung mit dem Zweiten Weltkrieg und zum anderen daran, dass Asperger auf Deutsch publizierte und seine Texte lange nicht ins Englische übersetzt wurden. Die englische Psychiaterin Lorna Wing (siehe historische Literatur) führte seine Arbeit in den 1980er-Jahren fort und verwendete erstmals die Bezeichnung Asperger-Syndrom. Im Jahr 1991 übersetzte Uta Frith Aspergers Dissertation erstmals ins Englische. Im darauffolgenden Jahr wurde das Asperger-Syndrom als selbstständige Diagnose in die ICD-10 aufgenommen. Seit dem DSM-5 (2013) wurden alle autistischen Störungen unter dem Oberbegriff Autismus-Spektrum-Störung (englisch: Autism Spectrum Disorder) zusammengefasst. Grund hierfür war, dass die Unterschiede, insbesondere zwischen dem Asperger-Syndrom und der Autistischen Störung ohne Intelligenzminderung, zu gering erschienen, um sie voneinander zu unterscheiden. Diese Zusammenfassung wurde 2019 in die ICD übernommen.

Quelle: Wikipedia

Das Autismus-Spektrum und die dafür typischen Symptome

Menschen aus dem Autismus-Spektrum sehen, hören und fühlen die Welt anders als ihre Mitmenschen. Aufgrund ihrer autistischen Wahrnehmung haben sie Schwierigkeiten, sich in andere Menschen hinein zu fühlen und adäquat mit ihnen zu kommunizieren. Zudem können sie die Stimmung ihres Gegenübers aus dessen Gesicht schlecht erkennen und vermeiden deshalb oft Kontakte zu ihren Mitmenschen. Gerne befassen sie sich mit einem Spezialgebiet. Es ist für sie eine Herausforderung, sich auf Neues einzustellen und oftmals besteht der Wunsch, Alltagsabläufe immer gleich zu gestalten (Rituale).

Sie tendieren dazu, sich an Details zu orientieren und haben Mühe, eine Situation ganzheitlich zu erfassen. In vielen Fällen sind die Betroffenen in ihren Bewegungen eher ungeschickt. Über- oder Unterempfindlichkeiten auf Licht, Gerüche, Geräusche oder Berührungen sind häufig. Sie zeigen sich zum Beispiel als Faszination für Licht oder glänzende Oberflächen, als Angstreaktionen bei speziellen Geräuschen, als Vorliebe für intensive Körperkontakte oder als auffälliges Beriechen oder Ertasten von Oberflächen und Gegenständen. Diese Über- oder Unterempfindlichkeiten (die autistische Wahrnehmung) und die vorhandene Detail-Orientierung führen dazu, dass Kinder oder Erwachsene aus dem Autismus-Spektrum grosse Probleme haben, ihre Umwelt als sinnvolles Ganzes zu verstehen. Das Erreichen von Lernerfolgen wird dadurch erschwert. Weitere Informationen dazu finden Sie im Kapitel «Wahrnehmung».

Diese autistischen Merkmale können sehr ausgeprägt sein – dann beeinträchtigen sie die Entwicklung eines Kindes massgeblich und treten meistens bereits in den ersten drei Lebensjahren auf. Früher sprach man in diesen Fällen von frühkindlichem Autismus. Sind die Merkmale weniger deutlich erkennbar, fallen sie dem Umfeld der betroffenen Person oder auch der Person selbst oft erst später auf. Die dann gestellte Diagnose ist auch unter dem Namen Asperger-Syndrom bekannt. Die Symptome sind auch hier von Person zu Person sehr unterschiedlich und verändern sich in ihrer Ausprägung im Laufe der Entwicklung. Heute wird nicht mehr zwischen frühkindlichem Autismus und Asperger-Syndrom unterschieden. Alle Formen von Autismus werden unter dem Begriff Autismus-Spektrum-Störung zusammengefasst.

Autismus ist angeboren und kann nicht «geheilt» werden. Die Prognose des Verlaufs der Entwicklungsstörung ist nur schwer vorherzusagen. Es gibt Forschungsergebnisse, die zeigen, dass die Symptome mit dem Alter nachlassen. Dies aus dem Grund, weil die Betroffenen lernen, damit umzugehen. Um dies zu erreichen, brauchen die Betroffenen aber die richtige Unterstützung durch ihr Umfeld.

"Das größte Problem autistischer Menschen ist nicht der Autismus, sondern das Leben und Zurechtfinden in einer nicht-autistischen Welt.“ Sabine Kiefner

Autismus bei Mädchen und Frauen

Bei Jungen und Männern wird häufiger Autismus diagnostiziert als bei Mädchen und Frauen. Wie ist dies zu erklären? Jungen und Männer werden bis zu viermal häufiger mit Autismus diagnostiziert. Dies liegt auch daran, dass sich viele Diagnosekriterien auf die männliche Ausprägung des Autismus beziehen. Bei Mädchen und Frauen zeigt sich Autismus etwas anders, nämlich versteckter. Bei Mädchen, bei denen sich die Diagnosekriterien nicht so auffällig zeigen, werden deshalb weniger häufig mit Autismus diagnostiziert. Nicht selten erhalten sie erst im Jugend- oder Erwachsenenalter die richtige Diagnose und eine effektive Förderung.

Typische Unterschiede

Die autistischen Symptome sind bei weiblichen Betroffenen häufig weniger stark ausgeprägt als bei männlichen. Mädchen mit Autismus sind oft ruhiger und können ihr Verhalten besser kontrollieren. Anders als die männlichen Betroffenen fallen sie weniger durch Stören des Unterrichts oder durch aggressives Verhalten auf. Mädchen verhalten sich vielmehr passiv und ziehen sich oft zurück. Dies entspricht den gesellschaftlichen Erwartungen an Mädchen und Frauen (still, schüchtern, unschuldig), was auf andere Menschen weniger störend wirkt und daher keine sofortigen Interventionen verlangt. Auch der mangelnde Blickkontakt wird bei Frauen eher mit Schüchternheit erklärt, nicht als ungewöhnlich wahrgenommen und deshalb eher nicht mit einer autistischen Störung in Verbindung gebracht.

Schwierigkeiten „tarnen“

Betroffenen Mädchen gelingt es besser, ihre Schwierigkeiten zu verstecken. Sie beobachten aufmerksam andere Mädchen und versuchen deren Verhalten nachzuahmen oder zu kopieren. Sie versuchen nicht aufzufallen oder „unsichtbar“ in der Gruppe mitlaufen zu können. Oder sie versuchen, Verhaltensweisen auswendig zu lernen, die ihnen im sozialen Kontakt schwerfallen. Anders als die meisten männlichen Betroffenen sind die Mädchen oder Frauen eher sozial veranlagt und können durchaus auch eine beste Freundin haben. Sie zeigen häufig ein grösseres Interesse an Freundschaften und sozialen Beziehungen. Spezialinteressen sind häufig alterstypisch. Wie die männlichen Betroffenen verfolgen häufig auch die Mädchen und Frauen mit Autismus ein Spezialinteresse. Anders als Kinder ohne Autismus, welche schnell das Interesse an einem Themengebiet verlieren, verfolgen sie ihr Spezialinteresse mit einer hohen Intensität und Qualität. Jungen und Männer mit Autismus verfolgen häufig ein Spezialinteresse, welches andere Kinder in ihrem Alter nicht interessiert (z.B. Strommasten, Toilettenspülung, etc.). Weibliche Betroffene hingegen wählen oft eher ein unauffälliges und manchmal sogar alterstypisches Spezialinteresse wie beispielsweise Tiere, Figuren, Bücher (z.B. Fantasy) oder Zeichnen.

Die andere Seite des Autismus

Häufig ist mehrheitlich die Rede von Schwierigkeiten und Problemen, mit denen Menschen mit Autismus im Alltag zu kämpfen haben. Sie haben aber auch viele Stärken. Jeder Mensch mit Autismus ist anders und hat andere Stärken.

Autistische Stärken und Qualitäten sind:

  • Ehrlich und direkt: Menschen aus dem autistischen Spektrum sind in der Regel ehrlich und in ihrer Kommunikation offen und direkt. Hintergedanken und Lügen sind ihnen fremd.
  • Interessiert an Details: Menschen mit Autismus nehmen Details überdurchschnittlich ausgeprägt wahr. Anders als ihre Mitmenschen sehen sie Dinge und Situationen erst in ihren Einzelmerkmalen, bevor sie diese als Ganzes erfassen. Durch das können sie Unterschiede besser erkennen als Gemeinsamkeiten. Sie finden sehr schnell Fehler und können Arbeiten genau und perfektionistisch ausführen. Bei Arbeiten, bei denen diese Fähigkeiten gefragt sind, haben Menschen aus dem Autismus-Spektrum gute Chancen, sich weiterzuentwickeln.
  • Spezialinteressen: Menschen mit Autismus entwickeln oft spezielle Interessen und vertiefen diese mit einer aussergewöhnlichen Begeisterung und Ausdauer. Damit verbundene Tätigkeiten führen sie gewissenhaft und konzentriert durch. Daraus entsteht ein sehr grosses Wissen über diese Themengebiete (z.B. Flugzeuge, Verkehrsnetze, etc.) und es können auch hervorragende Leistungen resultieren. Erfolgsversprechend ist die Verknüpfung des Spezialinteressens mit Ausbildung und Beruf.
  • Kreativität: Menschen mit Autismus sind oft sehr kreativ. Anders als ihre Mitmenschen können sie sich oft mit einer sehr grossen Ausdauer etwas zuwenden, ohne dass es ihnen langweilig wird.

Geschrieben von Annicka Schick

Bücherempfehlungen:

"Der sechste Sinn II: Unterrichtsplan zum Thema Austismus" - Autismusverlag.ch; Carol Gray

"Schattenspringer 1,2 und 3. Wie es ist anders zu sein." - Daniela Schreiter

"Der Junge, der zu viel fühlte." - Lorenz Wagner

"Leben mit dem Asperger-Syndrom, von Kindheit bis Erwachsensein" - Tony Attwood

"Überraschend anders - Mädchen und rauen mit Asperger" - Dr. Christine Preissmann

Foto "Autism Awareness" ist von Tara Winstead.